Beyond Boundaries: Perspektiven der zeitgenössischen Malerei aus
Graz/Steiermark/Österreich und darüber hinaus“ – 8. Biennale für Malerei in
Kroatien
Einführung

Die Kroatische Biennale für Malerei hat Künstlerinnen und Künstler aus Graz/Steiermark eingeladen, ihre aktuellen Arbeiten zu präsentieren. Nicht ein vorgefasstes kuratorisches Konzept, dem die Künstlerinnen und Künstler inhaltlich folgen, sondern das aktuelle Schaffen der einzelnen Persönlichkeiten ist von Bedeutung. Die aktuellen Arbeiten repräsentieren generationenüberspannendes Schaffen: Rund 60 Jahre liegen zwischen den Geburtsjahrgängen. Hier zeigt sich die Pluralität der Möglichkeiten, wie sich Künstlerinnen und Künstler aktuell mit den Mitteln der Malerei ausdrücken. Aber auch die Entwicklung der Malerei vom 20. Jahrhundert hinein in das 21. Jahrhundert und weiter in die Zukunft wird sichtbar. Tatsächlich ist der Titel dieses Textes das gemeinsame Programm aller Teilnehmenden: „Jenseits der Grenzen“. Heute sehen wir in der Malerei das stufenlose Nebeneinander von Abstraktion und Realismus, erkennen den Einfluss von digitalen Bildern, bemerken das verzerrte Bild des „funktionierenden Menschen“ mit dem feministischen Blick in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten und psychischen Befindlichkeiten. Die Arbeiten verweisen auf neue Aspekte oder historische Referenzen in der Wahl der Ausdrucksmittel. Hier erleben wir eine weitere Gemeinsamkeit, nämlich die Aufforderung, mit den Augen fühlend zu sehen. (Kandinsky, 2010)
Alle Künstler:innen erforschen in unterschiedlichen Methoden Räume, in die sie ihre Bilder grenzüberschreitend erweitern oder die sie durchaus auch verändern. Sie hinterfragen unsere eigene Wahrnehmung, wobei die spirituelle Ebene und Transzendenz immer begleitend mitschwingt.
Der Grad der Abstraktion, in dem bildnerische Elemente erscheinen, wurde im 20. Jahrhundert zum wichtigsten Barometer für den Fortschritt der Kunst. Das Gefühl des Erhabenen manifestierte sich in Formen und formalen Beziehungen, weit entfernt von allem Narrativen. Unerwartete visuelle Phänomene lösten Erstaunen und Überraschung aus, verbunden mit einem Gefühl von Verlust. Es war befriedigend, die intellektuellen und ästhetischen Konzepte der Zeitgenossen zu verstehen. (Paul Z. Rotterdam, 2025).
Jedoch fokussieren sich einige Teilnehmer:innen nicht nur auf den ästhetischen Prozess in der Malerei, sondern thematisieren Erwartungshaltungen der Gesellschaft und bieten Widerstand gegen das Glätten und Versachlichen, das uns umgibt. Sie alle sind Gratwanderer und suchen die malerischen Möglichkeiten jenseits der bisher aufgestellten Postulate in ästhetischen Diskursen in ganz individuellen Bildlösungen.
Eine interessante Klammer zwischen völliger Abstraktion und hohem Realismus und der Erweiterung in den realen Raum bilden die radikalen Positionen von Paul Z. Rotterdam und Alfredo Barsuglia. Sie untersuchen den bildnerischen Raum mit unerwartbaren Methoden und lassen die Betrachtenden die Unmittelbarkeit ihrer Werke spüren. Alfredo Barsuglia bezieht sich dabei auf das Alltägliche, Paul Z. Rotterdam bestimmt mit seinen dreidimensionalen Objekten den realen Raum und ist mit der ästhetischen Realität befasst. Rebecca LittleJohn vermittelt mittels ihrer feministischen Wahrnehmung durch graphische Lösungen, Farbnuancen, Formen und dreidimensionale Objekte die Hingabe zur Totalität im Bild, die immer wieder staunen lässt. Luise Kloos macht sämtliche Schritte von ästhetischen Entscheidungen sichtbar. Damit thematisiert sie die Auswirkungen von Konsequenzen und weist auf die Notwendigkeit der totalen Konzentration im Malprozess hin.
Violetta Ehnsperg ist ebenso eine Gratwanderin. Einerseits verhilft ihr die Farbe zur Unmittelbarkeit des Bilderlebens, andererseits „verpackt“ sie darin ihre Emotionen, die ihre kreative Kraft beflügeln. Anja Korherr experimentiert in ihren Bildern mit kunsthistorischen Versatzstücken und verdichtet ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen mit Spiegelungen, Lichtverzerrungen und fluoreszierenden Untermalungen. Nadine Nebels Arbeiten erzählen von Innenwelten des menschlichen Seins, klar beobachtet und atmosphärisch verdichtet. Mirjam Schrei geht subtil auf die Ebene der Beziehung von Menschen ein, deren Qualität unser Zusammenleben und Wohlbefinden definiert.
Alexander Grimm und Erwin Lackner untersuchen mit den Mitteln der analogen Ölmalerei digitale Bildwelten und das darin vermittelte Weltbild, das uns Menschen auf Geschwindigkeit und Funktionalität reduziert und damit den Verfall der Gesellschaft evoziert.
Künstlerarbeiten im Detail
Das Werk von Paul Zwietnig-Rotterdam, der zur Gruppe Supports/Surfaces zählt, ist wie eine Kulmination der ästhetischen Prinzipien, die sich in der Endphase der Moderne angesammelt haben, als deutlich wurde, dass die traditionellen Grenzen zwischen den einzelnen Medien Malerei, Skulptur und Architektur sich öffnen würden und die Entwicklung der Abstraktion nur ein Nebenprodukt der allumfassenden Suche nach Form war. Wie selbstverständlich bringt er dreidimensionale Elemente auf die Oberfläche der Leinwand, die den Bildraum zwischen der Illusion von Tiefe und der wörtlichen Selbstdarstellung schweben lassen. Plötzlich ist das Gemälde ein Objekt in der Unmittelbarkeit der physischen Realität.

Das künstlerische Schaffen von Alfredo Barsuglia zeichnet sich durch eine multidisziplinäre Herangehensweise und einen Zusammenschluss verschiedener Ausdrucksformen, Medien und Techniken aus. Er versucht mit seinen Werken, ständig Erwartungshaltungen zu brechen und Situationen zu konterkarieren, um einen Diskurs über vermeintlich Belangloses und scheinbar Alltägliches zu erzeugen. So wie in „Erdnuss“ in einem realistisch gemalten Bild von Erdnüssen ein plötzlich gelb gesprayter Kreis auf Bild und Wand einen Bruch für die Erwartungshaltung bedeutet und zugleich gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Wertvorstellungen reflektiert.

Die Malerei von Violetta Ehnsperg ist Ausdruck der Befreiung. Die Farben sind das Sprachrohr ihrer Emotionen, Wünsche, Ängste, Zweifel und Freude. Die Künstlerin setzt bewusst schrille, aggressive Farben ein – grelle Töne, die laut sind und nach Aufmerksamkeit suchen. Die Farben rufen auf, fordern. Sie laden die Betrachtenden ein, sich ohne Vorurteile und intellektuelle Schranken auf die Malereien einzulassen und die eigene Reaktion darauf zu spüren. Ihre Malerei ist dadurch nicht nur eine visuelle Erfahrung, sondern eine emotionale Reise. Als Ort, an dem Emotionen in ihrer ganzen Kraft zum Ausdruck kommen, spiegelt sie die innere Welt der Künstlerin wider – chaotisch, wild, voller Schönheit und Klarheit.

Die Arbeiten von Rebecca LittleJohn laden ins Atelier, sich zu versenken „in meiner Wahrnehmung meiner Wahrnehmung der Wahrnehmung“. Zwischen dem, was dargestellt wird, und der Farbe, die die Darstellung vornimmt, wird ihr Thema meist mit Linien wiedergegeben, die in ihrer Abstraktheit kalibriert sind. Zwischen dem subjektiven Raum des dargestellten Inhalts und dem objektiven Bereich, wenn der Inhalt nicht dargestellt wird, kann eine Linie in der Illusion von Tiefe verschwinden oder die Plastizität verstärken. Die oft chaotischen und irrationalen Konturen sind der Natur entnommen, während die Linien immerfort zwischen Zeichnung und Malerei wechseln. Dreidimensionale gefundene Objekte setzen sich frisch und unverbraucht auf die Leinwand oder umrahmen diese.

Luise Kloos dient die Abstraktion dem Ausdruck für innere Prozesse, die noch nicht in Worte fassbar sind. Gleich dem Verfassen eines Textes, wo zunächst noch nicht klar ist, wie der eigentliche Ausdruck zwischen den Zeilen sein soll, ist es auch mit dem Bild. Jedoch hat das Bild die Kraft, jenseits von Sprache zu liegen und diesen inneren Prozess sichtbar zu machen. Ein Text zeigt, wenn er fertig ist, nicht mehr das Ringen um den inneren Ausdruck. Ein Bild kann diesen Prozess sichtbar machen und zugleich das Ergebnis der Entscheidung und deren Folgen visualisieren.

Die Malerei von Anja Korherr bewegt sich an der Schnittstelle von Wahrnehmung, Erinnerung und digitaler Bildlogik. Aus realen, fotografisch dokumentierten Performances entwickelt sie vielschichtige Bildräume, in denen Zeit, Handlung und Perspektive fragmentiert und neu zusammengesetzt werden. Ihre Figuren wirken wie Teile eines offenen Experiments – zwischen Bühne, Bar und Labor. Formale Mittel wie Spiegelungen, Lichtverzerrungen und fluoreszierende Untermalungen erzeugen traumähnliche Szenarien, die zwischen Realität und Fiktion oszillieren. Sie zitiert kunsthistorische Strömungen wie Kubismus und Futurismus, um Fragen nach Raum, Bildwahrheit und medialer Konstruktion neu zu stellen.

Mirjam Schrei setzt sich in ihren Bildern mit Hoffnung, Vergänglichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen auseinander. Sie stellt sich der Frage, wie Beziehungen unsere Gesundheit prägen. Mit Licht als Metapher stimmt sie die Betrachtenden ihrer Bilder auf diese Beziehungsebene ein. Denn es gibt eine klare Unterscheidung: Nicht die Anzahl der Kontakte, sondern die Qualität der Beziehungen ist von Relevanz. Für die Künstlerin bedeutet Leben Beziehung. In subtilen Farbstimmungen unterstreicht sie die Komplexität und Verletzlichkeit von Beziehungen.

Die Arbeiten von Nadine Nebel bewegen sich zwischen Erinnerung und Gegenwart. Sie verbinden persönliche Alltagsfragmente mit Eindrücken aus fremden Städten und machen sichtbar, wie Orte, Wege und Spiegelungen Teil unseres inneren Archivs werden. Dabei geht es nicht nur um das Spannungsfeld von Fremdheit und Vertrautheit, sondern auch um das innere Erleben von Erwartungen und Erinnerungen, die sie oft mit leiser Ironie versieht, jedoch immer klar beobachtet und atmosphärisch verdichtet.

Die Arbeiten von Alexander Grimm verbinden zwei Welten: Die digitale Welt des Schaffens und die analoge Welt des Tuns. Sein Anspruch ist es, kluge, kritische, freche und ironische Ideen durch Malerei in Kunstwerke zu verwandeln. Seine Themen, wie der zunehmende Verfall der Gesellschaft als auch der Natur, sind Grundlagen für die Bilder. Die analoge Ölmalerei erhält ihm die Verbindung zum Werkzeug, zum unmittelbaren Tun mit seinen Händen, seinem Körper und zeigt die tiefe Verbundenheit des Menschen mit sich selbst und seinem kreativen Schaffen.
Erwin Lackner kritisiert in seinen Bildern gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungen. In einer Zeit, in der Effizienz, Verwertbarkeit und Funktionalität dominieren, entstehen zunehmend Leere und ein Mangel an Tiefe. Seine kopflosen, anonymisierten Brustbilder verweisen auf den Körper als Ressource, als mechanischen Organismus, auf den Menschen als austauschbares Glied im großen Räderwerk der Wirtschaft. Das Fehlen des Kopfes zeigt die Abwesenheit jener Dimension, die uns als Individuen ausmacht. Mit dem Kopf fehlt auch der Geist: Denken, Fühlen, Vorstellen, Träumen. Der Künstler fragt: „Was bleibt vom Menschen übrig, wenn Identität, Individualität und geistige Tiefe nicht mehr zählen?“
